Als Richard Joseph vor wenigen Tagen in der chilenischen Stadt Independencia aus dem Bus stieg, erregte eine Menschenmenge seine Aufmerksamkeit. Aus reiner Neugier wollte der junge Mann sehen, wovon die Leute so fasziniert waren. Als er jedoch ihren in die Höhe gerichteten Blicken folgte, blieb ihm vor Entsetzen beinahe das Herz stehen: An einem Hochhaus hing eine Frau von außen am Balkon und kämpfte verzweifelt darum, nicht in die Tiefe zu stürzen. „Ich sah die Frau außerhalb des Fensters hängen. Sie schrie Dinge, die ich nicht verstehen konnte.“
Facebook / Gonzalo Durán, Alcalde de Independencia
Richards erster Impuls war, dem Vorbild der umstehenden Passanten zu folgen und die dramatische Szenerie mit dem Smartphone festzuhalten, doch dann besann er sich eines Besseren: „Erstmal habe ich mein Telefon genommen und fing an zu filmen, aber dann stellte ich fest, dass das nicht der Moment für Videoaufnahmen war. Stattdessen fing ich an zu überlegen, wie ich der Dame helfen könnte.“
Richard wusste, dass die Frau nicht überleben würde, wenn sie den Halt verlor, denn ein Sturz aus dem neunten Stockwerk eines Hochhauses direkt auf die betonharten Pflastersteine bedeutete den sicheren Tod.
Nichtsdestotrotz wollte er helfen: „Ich beschloss, ihren Fall abzufedern, obwohl ich nicht glaubte, dass ich sie tatsächlich retten könnte, aber ich wollte ihren Kopf daran hindern, auf dem Boden aufzuschlagen.“
Plötzlich verlor die Frau tatsächlich ihre Kräfte, rutschte von der Brüstung des Balkons ab und stürzte unaufhaltsam in die Tiefe. Richard zögerte keine Sekunde und handelte in Windeseile. Er sprang aus der Menschenmenge hervor, den Blick stets auf die Fallende gerichtet und schätzte ab, wo sie voraussichtlich aufschlagen würde. Schließlich öffnete er die Arme weit und sah zu der Frau hinauf, die ungebremst auf ihn zuraste: „Ich wusste, dass sie schwer sein würde. Und als sie meine Arme erreichte, schlug mir der Aufprall die Beine weg und wir fielen beide hin.“
Schnell waren Rettungskräfte, die von Passanten alarmiert worden waren, zur Stelle. Sie nahmen die medizinische Erstversorgung der beiden vor und brachten sie umgehend ins Krankenhaus.
Richard verletzte sich glücklicherweise nur an den Füßen, Knien und Armen. Der Zustand der Frau, deren Identität bisher nicht an die Öffentlichkeit gelangte, ist jedoch kritisch. Die Rettungssanitäter gingen anfänglich sogar davon aus, dass sie tot sei, da sie nicht atmete und stark aus der Nase blutete; nach einigen Momenten erlangte sie jedoch das Bewusstsein zurück und liegt seitdem im Krankenhaus.
Bisher ist nichts über die Umstände bekannt, die dazu führten, dass die Frau verzweifelt versuchte, sich an der Balkonbrüstung festzuhalten und schließlich in die Tiefe stürzte.
Richard hingegen wird seitdem in Chile als Held gefeiert. Der haitianische Einwanderer beherrscht momentan die lokalen Medien und erhält von allen Seiten Anerkennung und Dankbarkeit – sogar seine anfallenden Arztrechnungen werden von einem wohlhabenden Geschäftsmann übernommen.
Das folgende Video, das von Nachbarn des gegenüberliegenden Hauses aufgenommen wurde, zeigt die Frau nicht nur in den Momenten, in denen sie verzweifelt versucht, sich an der Balkonbrüstung festzuhalten, sondern auch die Momente ihres Absturzes.
Richards blitzschnelle Reaktion hat der unbekannten Frau das Leben gerettet. Dabei handelte der junge Mann nicht nur intuitiv, sondern auch völlig selbstlos: „Ich dachte nicht darüber nach, ob es für mich gefährlich sein könnte.“ So viel Selbstlosigkeit ist mehr als bewundernswert und verdient definitiv einen Heldenstatus.