Bereits seit frühester Kindheit fühlte sich Maria Preida wie ein Fremdkörper in ihrer eigenen Familie. Das Mädchen wuchs als Teil einer traditionellen Roma-Gemeinschaft in Soroca auf, einer Stadt im Nordosten Moldaus. Mit ihren blonden Haaren und graublauen Augen unterschied sich Maria jedoch nicht nur von den anderen Kindern, sondern auch von ihren eigenen Verwandten. Außerdem erinnerte sie sich dunkel daran, dass sie als Kind in den Armen einer anderen Frau gelegen hatte.
Aber sobald Maria mit ihrer Familie über diese Erinnerungen sprach, wurde sie für ihre „wilde Fantasie“ nur belächelt. Die Jahre vergingen und aus dem Kind Maria wurde eine wunderhübsche junge Frau, die sogar einen örtlichen Schönheitswettbewerb gewann. Eines Tages, als sich die nun 20-Jährige Maria sich um ihre kranke Großmutter kümmerte, sollte sich ihr Leben von Grund auf ändern: Ihre Oma bat sie, sich hinzusetzen und ihr zuzuhören. Sie wollte Maria ein Geheimnis offenbaren.
Als sie erfuhr, dass ihre Erinnerungen an eine „andere“ Vergangenheit durchaus keine Einbildung waren, saß der Schock bei Maria tief: Die Menschen, die sie aufgezogen hatten, waren tatsächlich nicht ihre richtigen Eltern! Ihre jetzige Familie kaufte sie im Tausch für ein Paar Goldohrringe vor 16 Jahren als vierjähriges Mädchen und zog sie als ihre eigene Tochter auf. Maria war schockiert und wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Nach dem Tod ihrer Großmutter entschied sie sich jedoch dafür, die Polizei zu kontaktieren.
Nach kurzer Zeit bekam die junge Frau einen Rückruf von der örtlichen Polizei: Es gab einen Treffer. In einer internationalen Datenbank waren Informationen über ein vierjähriges Mädchen aus Weißrussland hinterlegt, das vor 16 Jahren in Chisinau verschwunden war, der Hauptstadt Moldaus. Bei dem verschwundenen Mädchen handelte es sich um eine gewisse Olga Romanovich – Maria erkannte sich auf dem Kinderfoto sofort wieder.
Und so schloss sich der Kreis: 1997 war eine gewisse Tamara Romanovich aus Minsk, Weißrussland, in der Hoffnung nach Moldau gekommen, Arbeit zu finden. Damals hatte sie auch ihre vierjährige Tochter Olga (Maria) mitgenommen. Vor Ort wurde die Frau von „Geschäftsleuten“ angestellt, ohne zu ahnen, was diese Männer wirklich mit ihr vorhatten. Zuerst nahm man ihr den Reisepass ab, dann schickte man sie zum Betteln auf die Straße. Irgendwann gingen die Männer sogar noch einen Schritt weiter: Eines Tages war nämlich Tamaras Tochter verschwunden. Man sagte ihr, dass das Kind an eine andere Familie verkauft worden sei. Tamara selbst wurde auf die Straße gesetzt.
Tamara konnte in der Fremde nicht einmal den Mut aufbringen, die Behörden zu informieren. Ohne Reisepass und ohne Geld brauchte sie für den Weg zurück in ihr Zuhause in Minsk mehrere Wochen. Dort kontaktierte sie die Polizei, doch zu dem Zeitpunkt war ihre Tochter bereits unauffindbar verschwunden. Als sie 16 Jahre später die Nachricht bekam, dass ihr verschollenes Kind wieder aufgetaucht war, war Tamara bereits dem Alkoholismus verfallen.
Währenddessen träumte Maria von einem Wiedersehen mit ihrer echten Mutter. Die junge Frau entschied sich, in ihre Heimatstadt Minsk zu ziehen und an der dortigen Universität ein Studium zu beginnen. Das lang ersehnte Wiedersehen war jedoch eine Enttäuschung; Tamara schien sich nicht mehr um ihre Tochter kümmern zu wollen. Sie half Maria jedoch dabei, mit anderen Verwandten Kontakt aufzunehmen, die der jungen Frau in ihrem neuen Leben bereitwillig zur Seite standen.
Als über Marias unglaubliche Geschichte in den Medien berichtet wurde, untersuchte die Polizei den Fall erneut. Aufgrund der langen Zeit, die vergangen war, fand die Polizei jedoch keine neuen Hinweise auf die „Geschäftsleute“ von damals, die sie verkauft hatten. Ohnehin ging es Maria nicht darum, irgendjemanden ins Gefängnis zu bringen. Sie hatte eine glückliche Kindheit. Stattdessen entschied sich die junge Frau, sich auf ihr zukünftiges Leben zu konzentrieren. Maria arbeitet heute als Model und absolviert ein Medizinstudium.
Maria hat mittlerweile wieder ihren früheren Vornamen Olga angenommen und ist fest davon überzeugt, dass ihre Vergangenheit ihrer Zukunft nicht im Wege stehen wird. Im Endeffekt kann sie sich sogar glücklich schätzen, in einer fürsorglichen Familie aufgewachsen zu sein. Wie viele Kinder in ihrer Lage können das schon von sich behaupten? Wenn es um Kinderhandel geht, nehmen leider die wenigsten Geschichten ein so gutes Ende.