Sklaverei, die Gefangenschaft eines Menschen, der wie ein Eigentum festgehalten und von seinen Entführern zum Arbeiten gezwungen wird, ist ein Verbrechen, von dem wir nicht annehmen, dass es in unserer Gesellschaft geschehen kann. Zu schrecklich scheint es, dass so etwas in der Stadt passiert, die wir nur als ein sicheres Zuhause kennen.
Doch die Realität sieht leider sehr anders aus, denn Menschenhandel ist ein höchst lukratives Geschäft für diejenigen, die keine Skrupel haben, sich am Leid anderer zu bereichern. Besonders furchtbar ist, dass gerade junge Menschen und sogar Kinder am leichtesten zu Opfern von Entführung und Versklavung werden.
Meist werden die Opfer in Länder entführt, deren Sprache sie nicht sprechen und wo sie niemanden haben, an den sie sich in ihrer Not wenden könnten – selbst wenn sie es schaffen, ihren Peinigern zu entkommen.
Einer von Hunderten von Jugendlichen, die jedes Jahr aus Vietnam nach Großbritannien verschleppt werden, ist der erst 16-jährige Minh.
Um den britischen Bedarf an Cannabis zu decken, existieren überall auf den britischen Inseln versteckte Marihuana-Farmen. Die Pflanzen müssen gezüchtet und gepflegt werden und die zuständigen Arbeiter können das Gebäude nicht verlassen – das würde das ganze Unternehmen schnell auffliegen lassen. Und so wird eine ganze Menge Cannabis unter Bedingungen gezüchtet, die die Droge alles andere als harmlos werden lassen.
Doch von all dem wusste Minh nichts, als er mit einigen Freunden aus seinem kleinen Heimatdorf in Südvietnam in die Stadt Ho Chi Minh City zog. Die vermeintlichen Freunde stellten sich als üble Gestalten heraus. Sie nahmen ihn mit zu einem Haus mit älteren Männern, die Minh nicht kannte. Die Männer fragten Minh, ob er nicht nach Großbritannien reisen und dort eine gut bezahlte Stelle annehmen wolle, doch er traute ihnen nicht und versuchte zu gehen.
Doch Minh kam nicht weit. Unter den Augen seiner falschen Freunde packten ihn die Männer, zerrten ihn in ein Hinterzimmer und sperrten ihn ein. Sie schlugen und traten ihn und missbrauchten ihn sexuell. Diese Tortur taten sie ihm über Tage hinweg an, bis er so verstört und traumatisiert war, dass er sich nicht widersetzte, als die Männer ihm eine Erklärung vorlegten, die besagte, er schulde ihnen 20.000 Pfund (knapp 22.000 Euro). Sie zwangen ihn, den Schuldschein zu unterzeichnen, und drohten, seinen Eltern etwas anzutun, falls er das Geld nicht auftriebe.
Über geheime Routen und verschlungene Wege verschleppten ihn seine Entführer nach Großbritannien. Zusammen mit anderen jungen Menschen aus Vietnam wurde er wie ein Stück Vieh transportiert, regelmäßig geschlagen, ausgehungert und immer wieder sexuell missbraucht. Als er ankam, kannte er niemanden, verstand die Sprache nicht, war zu Tode verängstigt und hatte hohe „Schulden“ bei seinen Peinigern.
Sie sperrten ihn in ein Haus in der ländlichen Gegend von Chesterfield ein. In dem scheinbar leerstehenden Gebäude wurde Cannabis angebaut und Minhs Aufgabe war es nun, die Pflanzen zu versorgen und zu ernten. Nur hin und wieder kamen Männer, die seine Arbeit kontrollierten und ihm tiefgefrorenes Fleisch hinwarfen, welches er sich in einer Mikrowelle zum Essen auftauen musste. Die Türen waren immer abgeschlossen, die Fenster abgedunkelt und Minh war fast immer völlig allein in dem finsteren, schmutzigen Gebäude.
Er wusste, dass sie ihn schwer bestrafen würden, wenn es den Pflanzen nicht gut ging, und so schleppte er jeden Tag eimerweise Wasser zum Gießen durch das Haus und düngte die Erde mit Chemikalien. Ihm wurde übel von den Dämpfen des Düngers und der Pflanzen, er bekam viel zu wenig zu essen und lebte ständig in der Angst, dass man ihn einfach verhungern lassen würde.
Eines Tages kletterte er aus dem Fenster und versuchte, zu entkommen. Doch er kam nicht weit, die Männer fingen ihn schnell wieder ein. Sie schleppten ihn zurück ins Haus, verletzten ihn mit Messern an den Genitalien und erzählten ihm, sie hätten eine Sonde unter seine Haut gepflanzt, mit der sie ihn jederzeit finden könnten.
Es war Monate später, in den dunklen Morgenstunden im Oktober 2013, als die Polizei plötzlich die Türen des Hauses eintrat. Sie fanden die Cannabis-Farm – und sie fanden einen angsterfüllten vietnamesischen Teenager. Aber Minhs Qualen war damit noch nicht vorbei.
Jugendliche, die als Sklaven in Cannabis-Farmen gehalten wurden, werden in Großbritannien trotz der Umstände ihrer Zwangsarbeit als Kriminelle behandelt. Die Polizei ist sehr schlecht ausgebildet, mit dem Trauma und der Isolation der Betroffenen umzugehen, und erkennt den Menschenhandel oft nicht, wenn sie ihn sieht.
Minh wurde verhaftet, erneut eingesperrt und nun droht ihm die Abschiebung nach Vietnam. Dort angekommen, besteht ein hohes Risiko, dass die Verbrecher, die ihn damals entführten, ihn erneut finden und in ihre Gewalt bringen werden. Die meisten jugendlichen Opfer von Sklaverei und Menschenhandel werden von den Behörden Großbritanniens einfach zurück in die Länder abgeschoben, wo sie erneut derselben Gefahr – und der Rache der Täter – ausgesetzt sind. Minh hat nach langem Ringen juristischen Beistand bekommen und hofft, dass er mit der Hilfe seines Anwalts erreichen kann, dass ihm zumindest dieses Schicksal erspart bleibt.
„Alles, was ich tun kann, ist zu hoffen“, sagt der inzwischen 22-Jährige. „Mein Leben hat nicht gut begonnen, aber das heißt nicht, dass das für mich so bleiben muss.“
Hoffentlich wird er nicht enttäuscht werden. Minh hat schon so viel Grausames erleben müssen, es wird Zeit, dass ihm endlich Gerechtigkeit widerfährt.
Minhs Geschichte ist noch sehr viel komplexer, als sie aus Platzgründen hier beschrieben werden konnte. Sie kann unter diesem Link im Original auf Englisch gelesen werden.