Wie verhalten sich Kinder, wenn sie in Gruppen ohne Aufsicht leben? Der britische Fernsehsender „Channel 4“ drehte im Jahr 2002 zwei ungewöhnliche Dokumentationen über ein Experiment mit jeweils zehn minderjährigen Mädchen und Jungen.
Ohne Aufsicht
Dafür wurde ein geräumiges Haus in der englischen Grafschaft Hertfordshire nördlich von London hergerichtet. Es standen zehn Betten in zwei Schlafzimmern bereit, die Küche war mit genügend Lebensmitteln gefüllt.
Ebenso gab es Hygieneprodukte, Badezimmer und vor allem genügend Spielzeug aller Art, mit dem sich die Kinder beschäftigen konnten. Zum Haus gehörte ein großzügiger Garten, der auch Sportgeräte wie eine Tischtennisplatte beherbergte. Die Ausstattung ließ also nichts zu wünschen übrig.
Gute Vorbereitung
Jungs wie Mädchen nahmen vor dem Experiment an einem Kochkurs teil. Ihnen wurde außerdem erklärt, dass sie jederzeit das Haus verlassen, mit ihren Eltern sprechen, einen Kinderpsychiater konsultieren oder auf viele andere Arten um Hilfe bitten konnten. Die Kinder kannten einander vorher nicht. Die wichtigste „Regel“ war jedoch, dass es keine gab. Sie konnten alles tun und lassen, was sie wollten. Zwar befand sich tagsüber ein Kamerateam im Haus, doch eingreifen durfte es nur, sofern echte Lebensgefahr bestand.
Jungs voran
Im ersten Experiment hatten die Jungen, die alle zwischen 11 und 12 Jahre alt waren, das Haus fünf ganze Tage für sich allein. Am ersten Tag erkundeten sie ihr neues Zuhause und lernten einander langsam kennen. Es dauerte nicht lange, bis sie austesteten, ob sie wirklich alles tun dürfen. Sie beschmierten Wände und richteten schon in den ersten Stunden ein ordentliches Chaos an, das aber einer der Jungen auch gleich bereute. Am Abend wählten sie sogar einen Anführer namens George, der ein wenig für Ordnung sorgen sollte. An diesem und den nächsten Tagen aßen sie fast ausschließlich Süßigkeiten und Fastfood.
Chaos und Cliquen
Am zweiten Tag versuchten die Jungs für Ordnung zu sorgen, was aber nicht so recht gelingen wollte.
Auch am nächsten Morgen störte sich die Gruppe am selbst angerichteten Chaos, doch es gelang keine organisierte Aufräumaktion. Zumindest aßen sie alle einmal gemeinsam an einem Tisch. Später bildeten sich aber zwei Cliquen: die lauten und die ruhigen Jungs, die jeweils ein Schlafzimmer teilten.
Getrennt und wiedervereint
Am vierten Tag konsultierten die Jungen einen Psychiater, der ihnen nahelegte, zusammenzuarbeiten. Trotzdem bestand die Trennung zwischen den beiden Cliquen fort. Am Abend versuchten die lauten Jungs, die ruhigen am Schlafen zu hindern.
Am letzten Tag bekriegten sich die beiden Grüppchen noch ein wenig und nutzten dann die restliche Zeit, um noch möglichst viel Chaos anzurichten. Auch die ein oder andere Freundschaft endete oder entstand. Am darauffolgenden Morgen schließlich wurden alle Jungen mit ihren Familien wiedervereint.
Wer sich die ganze Dokumentation der Jungen (auf Englisch) anschauen möchte, findet sie hier:
Nun sind die Mädchen an der Reihe
Die Mädchen waren im zweiten Experiment an der Reihe. Dieses fand im selben Haus statt, das wieder fast genauso hergerichtet war. Auch sie hatten das Haus fünf Tage lang für sich allein. Am ersten Tag erkundeten die Mädchen, die alle zwischen 10 und 11 Jahre alt waren, zunächst wie die Jungen das Haus und lernten einander kennen.
Sie bemalten ebenfalls die Wände, wenn auch zurückhaltender. Einige Mädchen backten und kochten, andere machten eine kleine Modenschau. Trotz einer recht harmonischen Atmosphäre kamen sich manche Mädchen in die Quere. Um sich gegenseitig zu ärgern, schütteten sie abends Wasser auf ihre Betten und stahlen Decken. Ein Mädchen brach in Tränen aus.
Gemeinsame Mahlzeiten
Wie am ersten Tag aßen die Mädchen auch am zweiten oft gemeinsam und versuchten, sich zu organisieren, um Ordnung zu schaffen. Obwohl alles besser gelang als bei den Jungen, erlahmte auch bei ihnen langsam der Eifer. Ein Streit zwischen zwei Mädchen konnte beigelegt werden, doch abends störten manche Mädchen die anderen beim Schlafen.
Am nächsten Morgen spielten einige von ihnen Schönheitssalon und schminkten sich. Doch schon an diesem Tag verließ eine 10-Jährige das Haus, weil sie unglücklich war. Später sangen die Übriggebliebenen gemeinsam und abends erzählten sich zusammen Horrorgeschichten.
Streits und Dramen
Am vierten Tag kam es wieder zu kleinen Streitereien. Zwar wurde weiterhin gekocht, doch keines der Mädchen kümmerte sich mehr um den Abwasch.
Am letzten Tag schließlich verließ morgens ein weiteres Mädchen vorzeitig das Haus. Es erzählte seiner Freundin: „Ich dachte, das würde eine spaßige Sache werden, doch es entpuppte sich als Albtraum.“ Trotzdem versuchten die restlichen Mädchen, das Beste aus ihrem letzten Tag zu machen, und organisieren einen Gesangswettbewerb und ein Rollenspiel. Auch sie trafen am nächsten Morgen ihre Eltern wieder, die vor dem Haus warteten.
Wer sich die ganze Dokumentation der Mädchen (auf Englisch) anschauen möchte, findet sie hier:
Die ungezwungene Umgebung ließ doch einige Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen hervortreten: Während die Jungen körperlich sehr aktiv waren und sich eher hierarchisch organisierten, stand bei den Mädchen das Gemeinschaftliche und Zwischenmenschliche im Vordergrund. Auf jeden Fall war es ein spannendes Experiment, das die Gruppendynamik von Mädchen und Jungen gut veranschaulichte.
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Quelle: boredpanda
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