Obwohl jede Krebserkrankung eine Tragödie darstellt, ist es doch stets besonders erschütternd, wenn sich bereits bei kleinen Kindern ein Tumor entwickelt. Selbst wenn sie überleben, machen diese Kinder eine Erfahrung, die sie ihr gesamtes Leben prägen wird. Nicht anders war es im Fall von Claire Russell aus Washington (USA), die sehr früh an Knochenkrebs erkrankte.
„Sie war gerade vier Jahre alt. Sie konnte kein Fahrrad fahren, hatte noch nie einen Klassenraum von innen gesehen und lief die meiste Zeit mit ihrem kleinen Tutu durch die Wohnung“, erzählt Michelle Russell, Claires Mutter.
Die bisher unbeschwerte Kindheit des kleinen Mädchens endete nach der Krebsdiagnose abrupt. Mehr als ein Jahr lang musste sich Claire einer qualvollen Behandlung unterziehen, die von körperlichen und seelischen Schmerzen begleitet wurde:
„Siebzehn Chemos innerhalb von zwölf Monaten. Mehrere chirurgische Eingriffe, bei denen ihr unter anderem vier Rippen entfernt wurden. Außerdem besuchte Claire mehrere Begräbnisse von Freunden, die sie im Krankenhaus kennen und lieben gelernt hatte. Sie hatten Krebs wie Claire, aber kein Glück“, sagt Michelle.
Wie durch ein Wunder überlebte das tapfere Mädchen diese schwere Zeit und erholte sich glücklicherweise recht gut. Die nächsten drei Jahre verlebte sie relativ unbeschwert. Die mittlerweile achtjährige Claire ist gesund und hat sich zu einer kontaktfreudigen, begabten Tänzerin entwickelt. Es scheint fast so, als habe sie nahtlos an ihr Leben vor der Krebsdiagnose anknüpfen können.
Aber nicht alle Wunden sind vollständig verheilt. Manchmal wird sie noch immer von ihrer Vergangenheit eingeholt. Beispielsweise, wenn sie sich wegen ihrer Narben erklären muss, die nach den vielen Operationen auf ihrem Rücken gut sichtbar sind. Folgendes Erlebnis belastete Claire so sehr, dass sie sich in ihrer Haut nicht mehr wohlfühlte.
„Vor ein paar Wochen warf ich ihr eines Morgens kurze Hosen und ein Tanktop zu und sagte, dass sie sich fertig machen solle. Wir waren in Eile. Sie fragte mich dann, ob sie ein anderes Oberteil anziehen könne“, berichtet Michelle, die im ersten Augenblick verwirrt war, weil es eigentlich Claires Lieblingssachen waren.
Auf Nachfrage ihrer Mutter erzählte die Achtjährige mit Tränen in den Augen, was passiert war: „Ein Junge … sagte mir, dass ich nur Sachen tragen solle, die meine Narben verdecken. Er meinte, sie seien gruselig … Warum kann ich nicht normal sein“, wimmerte die Kleine.
Michelle versuchte daraufhin ihre Tochter zu beruhigen. Sie setzte sich neben Claire und nahm sie in die Arme: „Er meinte wohl, dass deine Narben für etwas stehen, was du durchlitten hast. Und das ist gruselig. Deine Narben sind jedoch wunderschön.“
Zunächst war Claire nicht überzeugt, aber Michelle gelang es schließlich doch, ihre Tochter umzustimmen. Sie fragte Claire, ob sie denn wolle, dass andere Mädchen, die ebenfalls Narben haben, sich bedecken sollen.
„Nein!“, rief die Achtjährige, „ich möchte sie nicht traurig machen.“ Michelle erwiderte: „Also, wenn du stolz auf deine Narben bist, könntest du andere dazu inspirieren, es ebenfalls zu sein. Wusstest du das?“
Nach diesem letzten Satz erschien ein Lächeln in Claires Gesicht. Michelle hatte ihre Tochter überzeugt. Um dem kleinen Mädchen mehr Mut zu machen, bat Michelle eine befreundete Fotografin um einen kleinen Gefallen.
Sie machte mit Claire einige wundervolle Aufnahmen, die beweisen, wie schön das kleine Mädchen eigentlich ist – vor allem wegen ihrer Narben. Diese Fotos sollen aber auch möglichst viele Menschen dazu ermutigen, es der kleinen Kämpferin gleichzutun und sich nicht für den eigenen Körper zu schämen.
„Ich wünsche mir, dass kein Kind oder Erwachsener jemals den Drang verspüren muss, die eigenen Narben zu verdecken. Ich hoffe aber, dass diejenigen, die es tun, eines bedenken: Wer seine Narben nicht versteckt, inspiriert seinerseits ein kleines achtjähriges Mädchen dazu, den eigenen Körper zu lieben – einen kleinen Körper, der den Krebs besiegt hat. Bringen wir unseren Kindern bei, dass Unvollkommenheit schön ist. Dass Mut schön ist. Dass Mitgefühl schön ist“, sagt Michelle. Wie wahr!