Im November 2015 spielte sich in Fussa, einer Stadt westlich der japanischen Hauptstadt Tokio, eine wahre Tragödie ab. Yoshi Tsuchida, 38, wurde von seinem zehn Jahre jüngeren Partner in seiner Wohnung tot aufgefunden – sein Kopf steckte in einer Plastiktüte, neben ihm lag eine leere Schachtel Schlaftabletten. Sein Freund alarmierte sofort die Polizei, doch was die Beamten bei einem genaueren Blick unter die Tüte entdeckten, schockierte alle Anwesenden: Das Gesicht von Yoshi hing in Fetzen, seine Nase fehlte fast vollständig. Dabei befanden sich außer der Leiche nur seine drei Hunde in der Wohnung und es deutete nichts auf eine Gewalttat hin.
Kurze Zeit später bestätigte der Gerichtsmediziner, was alle bereits befürchtet hatten: Die Hunde hatten nach dem Freitod ihres Besitzers Löcher in die Tüte gebissen und sein Gesicht teilweise gefressen.
So kurios und tragisch die Geschichte auch erscheint, Beispiele dieser Art gibt es leider zuhauf. In forensischen Wissenschaftszeitschriften wird beispielsweise immer wieder von Fällen berichtet, in denen Haustiere ihre toten Herrchen teilweise gefressen haben.
Von einem der ungewöhnlichsten Fälle berichtete 1997 die Fachzeitschrift „Forensic Science International“, wonach sich ein 31 Jahre alter Mann in das umgebaute Gartenhäuschen seiner Mutter zurückgezogen hatte, in dem er mit seinem geliebten Deutschen Schäferhund lebte. Gegen Abend erschoss sich der junge Mann. Fünfundvierzig Minuten später entdeckte die geschockte Mutter den fürchterlich zugerichteten Leichnam. Neben der klaffenden Schusswunde fehlte auch ein Großteil seines Gesichts und Halses, mit eindeutigen Bissspuren an den Rändern der Wunden. Obwohl ein Napf mit Hundefutter auf dem Boden stand, hatte der Schäferhund seinen Besitzer ganz eindeutig angeknabbert.
Es wird jedoch noch schlimmer: Auf dem Weg ins Tierheim erbrach der zutrauliche, freundliche Hund einen Teil des verzehrten Gewebes.
Allerdings sind längst nicht nur die besten Freunde des Menschen zu solch einer Verzweiflungstat fähig. Bereits 1995 hatte die gleiche Zeitschrift über eine 43-jährige Frau berichtet, die nach dem Tod von ihrem Goldhamster angefressen wurde. In der Maulhöhle des Tieres entdeckte man später sogar noch ca. ein bis zwei Zentimeter große Haut- und Fleischstücke der Toten.
Eine Frage ist allerdings noch offen: Warum genau passiert es immer wieder, dass Haustiere ihre verstorbenen Besitzer anfressen? Laut dem deutschen Gerichtsmediziner Markus Rothschild sind die Gründe dafür vielfältiger Natur.
„Eine mögliche Erklärung für solch ein Verhalten ist, dass ein Haustier zuerst durch Ablecken und Anstupsen versuchen wird, einem bewusstlosen Besitzer zu helfen“, so der Experte. „Wenn das zu keinem Ergebnis führt, kann das Verhalten des Tieres hektischer werden. Bricht Panik aus, kann das zu Bissen führen.“ Befindet sich das Tier erst einmal in so einer verzweifelten Lage, ist es nur einen kleinen Schritt vom Fressen entfernt. Und sobald der Hund Blut geschmeckt hat, wird auch sein natürliches Fressverhalten stimuliert.
Zudem vermutet die forensische Anthropologin Carolyn Rando des University College London, dass das individuelle Temperament des Tieres eine größere Rolle spielen könnte. Demnach könnte ein unsicherer, ängstlicher Hund, der bereits zu Lebzeiten seines Besitzers Anzeichen von Trennungsangst gezeigt hat, viel schneller und wahrscheinlicher von hektischem Verhalten zu Beiß- und Fressverhalten übergehen.
Verhindern könne man es laut der Anthropologin übrigens nicht, dass das eigene Haustier einen frisst. Man kann das Risiko jedoch dadurch minimieren, dass sichergestellt ist, dass jemand nach einem sieht, wenn man sich über einen längeren Zeitraum nicht bei ihm meldet. Außerdem sollte jeder selbst die Initiative ergreifen und regelmäßig nach alten oder kranken Nachbarn sehen, um ein solches Drama zu verhindern.
Denn von seinem geliebten Haustier möchte nach dem Tod sicherlich keiner gefressen werden, auch wenn man ihm selbstverständlich nicht die Schuld dafür geben kann.